Das Telefon klingelt. Ich hebe ab. Zuerst habe ich Mühe zu verstehen. „Vielleicht ein möglicher Betrugsversuch“, denke ich. Dann sagt er: „Ihre Frau hat mit meiner Frau im Krankenhaus gelegen. Meine Frau hat die Telefonnummer von ihrer Frau bekommen. Ich habe eine Nachricht geschrieben. Ihre Frau hat nicht geantwortet. Das war schon vor drei Wochen.“ – Dann dämmert es mir. Es ist der polnische Ehemann der Bettnachbarin von vor Wochen, während einer der vielen Phasen, die die beste aller Ehefrauen im Krankenhaus verbringen musste.
Meine Frau kommt rein und ich überreiche ihr den Telefonhörer: „Schatz, da ist der Mann am Telefon von der Frau, mit der du vor Wochen im Krankenhaus gelegen hattest …“.
Die Stimme des Mannes höre ich, aber ohne zu verstehen, was er sagt. Und ich höre meine Frau, wie sie einfühlsam und verständnisvoll sagt: „Oh nein, das tut mir sehr leid. Ja, das ist schwer. Meinem Vater fiel das damals auch sehr schwer, als meine Mutter verstorben ist …“.
Als das Gespräch nach über zwanzig Minuten beendet war, klärte meine Frau mich auf. Der Mann, wie seine Frau polnischer Staatsbürger, hatte versucht – nachdem seine Frau verstorben war – eine WhatsApp zu schreiben. So dachte er. Die Nachricht ging allerdings an die Nummer unseres Festnetzes. Er wunderte sich, warum nie eine Antwort kam, bis ihm klar wurde, wo der Fehler lag. Jetzt, drei Wochen später, hatte er meine Frau endlich am Telefon und machte seinem Herzen Luft.
Er hat viel erzählt. Einzelheiten, die man normalerweise nur engen Angehörigen erzählt. Er erzählte, dass seine Frau zu ihm gesagt habe: „Die Carola ist eine ganz besondere Frau. So einer Frau bin ich in meinem Leben noch nicht begegnet. Ich glaube, dass sie ein Engel ist.“ – Mir kamen die Tränen und ich wusste sofort, was für ein Idiot ich bin. – Ich war ertappt. Mal wieder.
Sofort erinnerte ich mich an einen Besuch im Krankenhaus und wie lästig es mir war, dass sich die beste aller Ehefrauen extra Zeit für die Bettnachbarin und ihren Mann nahm. Alles das, obwohl sie selbst genug mit dem Kampf um Genesung zu tun hatte. Diese polnische Dame war nicht die erste Frau, bei der sie das tat. Bei einer anderen Gelegenheit war es eine junge albanische Frau, mit der sie ein Zimmer teilte und sich Wochen später sogar mit ihr auf einen Kaffee traf. Immer wieder nimmt sie sich Zeit für andere. – Und ich? Ich muss warten und ärgere mich, dass ich zwei Minuten länger auf dem Krankenhausflur stehen muss, bis meine Frau getan hat, was sie immer tut: Trost spenden, Hoffnung vermitteln, Menschen erklären, wo sie mit ihrem Lebensboot ankern und andocken können, wenn sie möchten.
Klingt kitschig? Mag sein. Man mag darüber und über Glaubensdinge denken, wie man will. Aber Engel wissen, wann es wichtig ist, sich Zeit zu nehmen und Hoffnung zu verbreiten, Trost zu spenden. Da bekommen „Glaube, Hoffnung, Liebe“ ein Gesicht. Einen Kettenanhänger mit Kreuz, Herz und Anker um den Hals zu tragen, ist das eine. Die Bedeutung zu leben, ist etwas ganz anderes.
Da müssen andere wie ich schon mal einige Wochen warten, bis ihnen durch einen Telefonanruf ein so grelles Licht aufgeht, das in die dunkelste Ecke des Herzens scheint und offenlegt, wie viel es noch zu lernen hat. Und dass man als fast Sechzigjähriger mehr einem trotzigen Kind ähnelt, das die erhoffte Süßigkeit nicht bekommt, wenn man selbstmitleidig, ungeduldig und genervt auf einem Krankenhausflur nur an sich selbst denkt. – Es tut mir aufrichtig leid.